An Bord der „Santa Barbara Anna“
Klaus-Dieter Nonn möchte einmal ein Segelschiff sehen – der Wünschewagen bringt ihn an Bord der „Santa Barbara Anna“
Regen, Sturmböen und gerade einmal 7 Grad Celsius: Ein Maitag sollte anders aussehen. Doch Klaus-Dieter Nonn ist das ganz egal. Ihm wird an diesem Tag sein großer Wunsch erfüllt, ein Segelschiff von Nahem zu sehen. „Eigentlich sollte es so groß wie möglich sein, aber die ganz großen haben alle abgesagt: die Gorch Fock, die Passat, die Peking…“, zählt Matthias Hildebrandt auf, der beim Arbeiter-Samariterbund in Mecklenburg-Vorpommern die Einsätze des Wünschewagens koordiniert. Zum Glück hätten aber der Rostocker Bramschot e.V. und sein Skipper Peter Mai ein Herz für das Projekt und zugesagt, die „Santa Barbara Anna“ für Klaus-Dieter Nonn zu öffnen – trotz Corona.
Als der Wünschewagen am Liegeplatz im Rostocker Stadthafen vorfährt, schwankt der Dreimaster bedrohlich. „Aber wir fahren Klaus-Dieter Nonn möchte einmal ein Segelschiff sehen – der Wünschewagen bringt ihn an Bord der „Santa Barbara Anna“ damit jetzt nicht raus, oder?“, fragt Roswitha Hedrich zaghaft. Die Wismarerin hat sich zwar sehr über das Angebot gefreut, die Wünschefahrt ihres jüngeren Bruders zu begleiten. Eine Ausfahrt im Sturm wäre ihr aber zu weit gegangen. Doch Kapitän Mai kann sie und alle anderen, die ähnliche Sorgen haben, beruhigen: „Dafür hätten wir gar keine Betriebserlaubnis.“ Die „Santa Barbara Anna“, die viele noch als das Schiff der Kelly Family kennen, sei in diesem Jahr auch überhaupt noch nicht rausgefahren. „Normalerweise starten wir Anfang Mai immer mit zwei Ausbildungsfahrten für die Crew, bevor wir dann auch wieder Gästefahrten anbieten“, erzählt der Kapitän. Aber in diesem Jahr sei coronabedingt auch das anders, dabei jucke es allen schon sehr in den Fingern, endlich wieder die Leinen loszumachen. Vielleicht klappt das noch vor Pfingsten...
Klaus-Dieter Nonn lauscht den Erklärungen weitgehend wortlos. Als er drei Jahre alt war, hätte er eine Hirnhautentzündung gehabt, erzählt seine Schwester. Später sei er auch noch an Paratyphus erkrankt, dadurch seien die Hirnschädigungen noch schlimmer geworden. Er hätte nicht mehr zu Hause wohnen können, sondern habe den größten Teil seines Lebens in Behinderteneinrichtungen verbracht, zuletzt in Dobbertin.
Seit Juli 2020 ist der beinahe 65-Jährige nun im Güstrower ASB- Seniorenheim Am Weinberg zu Hause – und leiderwird seinGesundheitszustand immer schlechter. Gerade erst war er wieder einmal imKrankenhaus, und der blubbernde Husten verrät, dass seine Lunge immer noch Probleme macht. Umso wichtiger sei es, den äußerlich so kräftig wirkenden Mann ein wenig aufzurichten, meint Dana Heidkamp. Sie gehört im Heim zu seinen Therapeutinnen, und sie hat auch die Wünschefahrt angemeldet.
Aber warum will er ein Segelschiff sehen? Roswitha Hedrich hat, obwohl sie viele Jahre lang auch die Betreuerin ihres Bruders war, keine Ahnung. Dana Heidkamp kann helfen: „Neben seinem Bett hängt das Bild eines Segelschiffs“, erklärt sie – und als sie ihn gefragt habe, ob er so eins mal „in echt“ sehen wolle, war „Nonni“, wie ihn alle in seinem Umfeld nennen sollen, sofort Feuer und Flamme. Beide hätten sie für den Ausflug sogar trainiert, dass er statt mit seinem großen, schweren auch mit einem leichten, faltbaren Rollstuhl zurechtkommt.
Für die Gangway, so zeigt sich allerdings im Stadthafen, ist auch der noch zu breit. Also bleibt „Nonni“ zuerst einmal auf der Trage und wird von den Ehrenamtlern Maik Lewermann und Rolf Radowitz an Bord gehievt. Als es dort unter Deck gehen soll, muss auch Matthias Hildebrandt mit anpacken. Nicole Steinicke, die an diesem Tag ebenfalls zum Wünschewagenteam gehört, trägt die wärmende Decke hinterher.
Im ehemaligen Fischladeraum vor Wind und Wetter geschützt, erzählt Skipper Peter Mai aus der Geschichte der „Santa Barbara Anna“. Das Schiff ist schon 70 Jahre alt, bis 1985 war es als Fischtrawler in der Nordsee unterwegs, bekam erst 1985 bei einem Umbau sein heutiges Aussehen. Knapp 45 Meter Länge, sieben Meter Breite und 525 Quadratmeter Segelfläche sindMaße, die auch Klaus-Dieter Nonn staunen lassen. Er hört lange aufmerksam zu, lässt sich unter Deck die zehn Kojen und oben das Steuerruder zeigen. Anfassen will er es dann aber doch lieber nicht.
Die wohl größte Freude macht Peter Mai seinem Gast, als er ihmeinen aktuellen Hansesail-Kalender schenkt. Zwölf Schiffe unter vollen Segeln schmücken inzwischen sicher schon die Wände in seinem Güstrower Heimzimmer. Einziger Wermutstropfen: Die „Santa Barbara Anna“ ist nicht dabei. Doch von ihr –und ihren Gästen – hat Dana Heidkamp eine ganze Reihe Handyfotos aufgenommen. Auch deshalb hält sich der Abschiedsschmerz in Grenzen, als der Wünschewagen schon nach anderthalb Stunden wieder die Rückfahrt nach Güstrow antritt. Denn genauso groß wie „Nonnis“ Leidenschaft für Segelschiffe ist die für Skipper Peter Mai Autos...
Bilder und Text: Karin Koslik / SVZ